Gesetz zur Beschleunigung von Infrastrukturprojekten

Die Ampelkoalition hat kurz vor der Sommerpause einen Gesetzentwurf zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren von Infrastrukturprojekten im Verkehrsbereich (Bundestags-Drucksache 20/6879) im Bundestag eingebracht, das wir mit großem Unmut zur Kenntnis genommen haben.

Hier findet ihr den Text https://dserver.bundestag.de/btd/20/068/2006879.pdf

Unsere Stellungnahme zum Beschleunigungsgesetz

So wird das Gesetz begründet (Originaltext mit Verkürzungen):
In Deutschland dauern die Verfahren zur Planung und Genehmigung von Infrastrukturprojekten immer noch zu lange. Der vorliegende Gesetzentwurf schlägt eine deutliche Verkürzung der Verfahrensdauer vor, um Investitionen schnell, effizient und zielsicher umsetzen zu können.
Eine moderne und gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur ist wichtiger Standortfaktor Deutschlands. Zur Sicherung und Modernisierung unserer Verkehrswege ist eine rasche Umsetzung der erforderlichen Aus- und Neubauprojekte unerlässlich. Der Gesetzentwurf sieht daher rechtliche Anpassungen vor, um im Verkehrsbereich die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.“

Darin werden alle Projekte des Deutschlandtaktes, also auch das Projekt Hannover – Bielefeld als ‚überragendes öffentliches Interesse‘ definiert. Dies ist übrigens kein juristisch definierter Begriff und kann damit gerichtlich angegriffen werden (so der Bundestagsabgeordnete Ulrich Lange in der 1. Lesung des Entwurfs). Generell soll mit dieser Einstufung der Planungsprozess durch folgende Maßnahmen deutlich beschleunigt werden:

  1. vorzeitige Besitzeinweisung (erlaubt die Nutzung einer Fläche vor einem Eigentumsübergang, vorzeitige Enteignung)
  2. es ist eine vereinfachte und verkürzte Umweltverträglichkeitsstudie möglich (das bedeutet auch Ausnahmen z.B. bei FFH Gebieten und der Wasserrahmenrichtlinie)
  3. Forderungen und Bestimmungen des Bundesnaturschutzgesetzes können ausgehebelt werden
  4. das Planfeststellungsverfahren darf maximal 4 Jahre dauern
  5. neue Verkehrsprognosen und die damit verbundenen Änderungen der Lärmbelastungen haben keine aufschiebende Wirkung für den Planfeststellungsbeschluss, müssen aber vor Inbetriebnahme des Vorhabens umgesetzt werden 1)

Ohne es explizit zu erwähnen, werden mit dem Maßnahmenpaket für den Deutschlandtakt und dem darin enthaltenen 3. Zielfahrplan die Zeitvorgaben auch für die Strecke Hannover Bielefeld in dem Gesetzesentwurf manifestiert. So wörtlich: „Eine Konkretisierung des Gesamtplanfalls Deutschlandtakt konnte … im Jahr 2016 nicht erfolgen, da zu diesem Zeitpunkt der Zielfahrplan Deutschlandtakt … noch nicht vorlag. Gleichwohl hat der Gesetzgeber bereits zu diesem Zeitpunkt gesetzlich festgeschrieben, dass Maßnahmen zur Realisierung des Deutschlandtakts zu identifizieren und bei Nachweis der Wirtschaftlichkeit entsprechend umzusetzen sind. (S.41) und weiter: Ziel ist es, die gesetzlichen Voraussetzungen zur Planungsaufnahme aller Deutschlandtakt-Maßnahmen zu schaffen. (S. 42)

Ein weiterer Aspekt der Beschleunigung soll durch die Digitalisierung der Unterlagen erreicht werden.

Positiv an dem Entwurf ist lediglich die Feststellung, dass Klagen im Planfeststellungsverfahren weiterhin beim Verwaltungsgericht anhängig sein werden. Damit wird die Idee des MaßnahmengesetzVorbereitungsgesetzes ausgehebelt, die zuständige Gerichtsbarkeit im Planfeststellungsverfahren an das Bundesverfassungsgericht zu übertragen.

Grundsätzlich muss allerdings das ‚überragende öffentliche Interesse‘ für den Deutschlandtakt stark infrage gestellt werden.

Ein „überragendes öffentliches Interesse“ wurde in den letzten Jahren mehrfach in verschiedenen Gesetzen verankert. Dabei ging es um den Ausbau erneuerbarer Energien und der dafür erforderlichen Netze sowie den Bau von LNG-Terminals. D.h. hier ging es um den verfassungsrechtlichen Klimaschutzauftrag und die Erreichung der nationalen Klimaziele sowie die Sicherstellung der Energiesicherheit infolge des Ukrainekriegs (LNGG). Verfolgt wurden damit hochrangige verfassungsrechtliche Gemeinwohlbelange und die Bewältigung akuter, unbestrittener und möglicherweise existentieller Krisen, deren Abwendung ein schnelles und konsequentes Handeln erforderte.

Und nun Maßnahmen des Deutschlandtaktes auf die gleiche Stufe zu stellen, erscheint schon ziemlich willkürlich. Wo ist das überragende öffentliche Interesse für eine 17 minütige schnellere Fernverbindung zwischen Hannover und Bielefeld oder kürzere Umsteigezeiten?

Das ist wohl eher ein Interesse von wenigen, während die meisten Bürger dieses Landes lt. aktueller Statistik ein überragendes öffentliches Interesse in der Gesundheitsvorsorge, der sozialen Absicherung, dem Umwelt- und Klimaschutz, Friedensbemühungen sowie die Migration/Integration sehen. Niemand redet hier von kurzen Umsteigezeiten und schnelleren Bahnverbindungen.

Das Vorhaben der Bahn, einen Neubau für eine Hochgeschwindigkeitsstrecke durchzusetzen, darf nicht als überragendes öffentliches Interesse definiert werden, weil es sowohl für den Klimawandel als auch für die Verkehrswende nachteilig sein wird, wie die folgenden Ausführungen belegen:

Nehmen wir das Beispiel die Strecke Hannover Bielefeld: nach dem Raumordnungsverfahren schließt sich ein maximal 4 jähriges Planfeststellungsverfahren und danach eine von der Bahn angegebenen 13 jährige Bautätigkeit an. Wir werden also bis 2043 Uhr keine Züge auf einer solchen neuen Strecke sehen. Bis dahin werden aber durch den Bau für Zement, Beton, Eisen, Kupfer, usw. und durch die Bauverkehr selber vor Ort mehr als 1 Mio Tonnen CO2 freigesetzt. Die Bahn kalkuliert eine jährliche Einsparung von CO2 von 40000 Tonnen nach Inbetriebnahme. Das heißt also bis 2043 haben wir einen enormen Anstieg der CO2 Emissionen und brauchen anschließend über 30 Jahre um diesen Anstieg wieder auszugleichen. Das ist in keiner Weise klimaverträglich. Zusätzlich werden in dieser Zeit natürlich die Baukosten fällig, die 2020 bereits bei circa 8 Milliarden Euro lagen.
Außerdem können wir davon ausgehen, dass im Jahre 2043 die meisten Verbrennermotoren sowohl bei PKWs als auch bei LKWs auf den Autobahn von Fahrzeugen mit Elektroantrieben oder dann hoffentlich grünem Wasserstoff verdrängt wurden. Damit kann die von der Bahn kalkulierte Einsparung von 40000 Tonnen CO2 gar nicht realisiert werden.

Der Aspekt, den Güterverkehr zu forcieren bleibt dabei völlig außer Acht. Wir können keine 20 Jahre warten, bis wir dem Güterverkehr endlich die Möglichkeiten geben, zum Beispiel zwischen Wunstorf und Minden mit 2 zusätzlichen Gleisen effektiver zu werden. Eine deutlich schnellere Möglichkeit wäre die Digitalisierung solcher Strecken. Wie der Vorstandsvorsitzende der Bahn Lutz bereits ausgeführt hat, kann mit der Digitalisierung eine Kapazitätserhöhung von 30% auf den Bestandsstrecken erfolgen. Diese Kapazitäten müssen wir dringend heben und alles daransetzen, die entsprechenden Maßnahmen zur Digitalisierung umzusetzen. Das gilt natürlich für alle Engpassstellen, die erweitert werden müssen.

Wenn man wirklich eine Beschleunigung herbeiführen möchte, dann müsste ähnlich vorgegangen werden, wie es die CDU/CSU kürzlich im Bundestag für den Ausbau oder die Erneuerung von bereits bestehenden Brücken auf Bundesfernstraßen vorgeschlagen hat 2). In dem Gesetzentwurf sollte festgelegt werden, dass in solchen Fällen eine vereinfachte Umweltverträglichkeitsprüfung und eine verkürzte Planfeststellungsphase ermöglicht werden.

Das könnte so auf den Ausbau von Schienenbestandstrecken übertragen werden und damit die Planungszeit eines Ausbaus deutlich verkürzen. Allein dadurch ergäbe sich ein deutlicher Vorteil gegenüber einer Neubaustrecke.

Bauen wir also den Bestand aus, kann eine verkürzte und vereinfachte Umweltverträglichkeitsstudie absolut sinnvoll sein und wird auch auf weniger Widerstand in der Bevölkerung stoßen. Damit würde eine wirkliche Beschleunigung erreicht.

Der Gesetzesentwurf wurde am 22.6.2023 im Bundestag in 1. Lesung erörtert.

Das Sitzungsprotokoll kann auf den Seiten 13672 – 13689 nachgelesen werden. Hier der Link:
*Plenarprotokoll 20/112 (bundestag.de)

Der komplette Sitzungsverlauf kann auch im aufgezeichneten Livestream verfolgt werden. Hier der Link:
Deutscher Bundestag – Entwurf will schnellere Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich

Beschluss des Bundestags:
Der Entwurf wird an folgende Ausschüsse überwiesen:
Verkehrsausschuss (f)
Rechtsausschuss
Wirtschaftsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

1)Mit der neuen Regelung wird vermieden, dass der Vorhabenträger bei potenzieller Überschreitung der Grenzwerte sein Betriebsprogramm (Zugzahlen, Zuggattungen, etc.), das maßgebend für die Festlegung von Schutzmaßnahmen vor Lärm und Erschütterung ist, vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses neu zu erstellen hat. Es wird auch vermieden, dass die schalltechnischen Untersuchungen zu diesem Verfahrenszeitpunkt überarbeitet werden müssen und die Planfeststellungsbehörde die aktualisierten Planunterlagen erneut auszulegen und hierzu die Betroffenen anzuhören hat. Je nach Projektgröße und Verfahrensstand des Genehmigungsverfahrens kann durch die neue Regelung eine Beschleunigung von bis zu drei Jahren erreicht werden“ (S.74)

2) ‚Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren an Brücken auf Bundesfernstraßen‘ . Hier der Link: (Drucksache 20/6947 Beschlussempfehlung und Bericht des Verkehrsausschusses (15. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU – Drucksache 20/4665 – Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren an Brücken auf Bundesfernstraßen (bundestag.de))